Ziele und Inhalt der Assistenzleistungen nach § 78 SGB IX
Ziel der Assistenzleistungen ist die Unterstützung bei der selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung. Davon umfasst sind insbesondere alltägliche Leistungen wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen, § 78 Abs. 1 Satz 2 SGB IX.
Umfassender Begriff des Alltags im Kontext der Assistenz
Aus Sicht des Deutschen Vereins ist der Begriff des Alltags in § 78 Abs. 1 Satz 2 SGB IX weit zu verstehen. Die Assistenz ist eine Unterstützungsleistung, die sich am konkreten individuellen Bedarf orientiert und daher jeden Lebensbereich erfassen kann. Aus diesem Grund und im Hinblick auf eine Auslegung der Norm im Lichte der UN-BRK können daher auch Lebensbereiche umfasst sein, die nicht ausdrücklich benannt sind, wie z.B. eine Begleitung während einer Urlaubsreise.
Assistenz in der Kommunikation und Umwelt
Während in § 78 Abs. 1 Satz 2 SGB IX Assistenzleistungen exemplarisch für einige Lebensbereiche konkretisiert sind, wird in Satz 3 klargestellt, dass auch die Kommunikation mit der Umwelt in diesen Bereichen mit umfasst ist. Daher müssen die Assistenzkräfte gemäß § 124 Abs. 2 Satz 2 SGB IX auch über die Fähigkeit zur Kommunikation mit den Leistungsberechtigten in einer für die Leistungsberechtigten geeigneten und wahrnehmbaren Form verfügen. Hierfür kann es einer qualifizierten Fachkraft bedürfen (z.B. als Assistenzkraft für Menschen mit einer starken Hörsehbehinderung, die nur taktil kommunizieren können).
Digitale Teilhabe als wesentliche Voraussetzung
Die Digitalisierung spielt nahezu in allen Lebensbereichen eine immer größere Rolle. Das Internet und digitale Medien werden in der Gesellschaft genutzt, sowohl im privaten als im beruflichen Alltag. Gesellschaftliche und soziale Teilhabe bedeuten daher auch immer stärker digitale Teilhabe für Menschen mit Behinderungen. Eine selbstbestimmte, souveräne Mediennutzung und der Abbau von Barrieren sind dabei wesentliche Voraussetzung, um Menschen mit Behinderungen digitale und damit soziale Teilhabe zu ermöglichen. Der Deutsche Verein weist daher darauf hin, dass die Assistenz bei der digitalen Teilhabe auch von § 78 Abs. 1 SGB IX umfasst ist.
Mobilitätsassistenz als Zugangsvoraussetzung
Für viele Lebensbereiche ist Mobilität eine wichtige Zugangsvoraussetzung. In einer zunehmend inklusiven Gesellschaft spielt die Mobilitätsassistenz daher eine immer wichtigere Rolle. Menschen mit Behinderungen, die nicht in einer WfbM arbeiten oder in Förderschulen unterrichtet werden, benötigen ggf. eine Assistenz bei der Nutzung des ÖPNV oder anderer Mobilitätsmittel. Diese wird durch eine Mobilitätsassistenz sichergestellt. Aus Sicht des Deutschen Vereins bildet dafür ebenfalls § 78 Abs. 1 SGB IX eine Rechtsgrundlage. Assistenzleistungen können danach auch darauf ausgerichtet sein, die Erreichbarkeit und den Besuch von Freizeitaktivitäten zu ermöglichen, wie etwa durch Beförderung und Begleitung.
Autonomie der Leistungsberechtigten bei der Assistenzgestaltung
Der erforderliche Bedarf ist wie bei allen Leistungen der Eingliederungshilfe im Rahmen der Bedarfsermittlung und Gesamtplanung zu ermitteln. In § 78 Abs. 2 SGB IX wird die Autonomie der leistungsberechtigten Person hinsichtlich der Ausgestaltung der Assistenzleistungen zum Ausdruck gebracht. Danach entscheiden die Leistungsberechtigten über die konkrete Gestaltung der Leistungen hinsichtlich Ablaufs, Ort und Zeitpunkt der Inanspruchnahme – auf der Grundlage des Gesamt-/Teilhabeplans. Dies gilt unabhängig von der Wohnform. Insbesondere bei besonderen Wohnformen sind damit jedoch erhebliche Herausforderungen für die Leistungserbringer bei der Organisation der Leistungserbringung, insbesondere der Personalplanung, verbunden.
Quelle: BtPrax-Newsletter Juli 2024